Forschung

Datenanalyse zur Pharmakotherapie bei Menschen mit Amyotropher Lateralsklerose

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Die symptomatische Behandlung mit Arzneimitteln bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) ist weit verbreitet. Dazu zählt beispielsweise die Behandlung von Spastik, des überschüssigen Speichelflusses oder von Muskelkrämpfen – um nur einige Symptome zu nennen. Viele Patienten mit ALS kennen die Herausforderungen einer täglichen Behandlung mit zahlreichen symptomatischen Medikamenten. Trotzdem lagen uns bislang wenige Daten zu diesem wichtigen Thema vor. So war bis zu unserer Studie nicht bekannt, wie viele und welche Medikamente ein Mensch mit ALS in Deutschland erhält.

Seit Juli 2013 haben 2.392 Menschen mit ALS aus 7 ALS-Zentren in Deutschland an unserem digital-unterstützten Medikamentenmanagement teilgenommen und damit eine wissenschaftliche Erfassung ihrer Medikationsdaten ermöglicht. Im Januar 2020 wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts die Medikationsdaten von 7.562 Verordnungen ausgewertet.

Abbildung: Netzwerk der am Medikationsmanagement teilnehmenden ALS-Ambulanzen. Die genauen Kontaktdaten der Ambulanzen finden Sie unter: https://www.ambulanzpartner.de/#versorgung_amyotrophe_lateralsklerose

Die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Datenanalyse wurden im April in der renommierten neurologischen Fachzeitschrift Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry veröffentlicht. Zum Artikel.



Medikamentenmanagement über digitale Plattform

Über unsere Management- und Forschungsplattform Ambulanzpartner wurden ALS-Zentren, ALS-PatientInnen und spezialisierte Apotheken vernetzt. Das Medikationsmanagement ermöglichte eine verbesserte Koordination und Kommunikation zwischen Patienten, Ärzten und Apothekern. Im Rahmen des Medikationsmanagements wurden Daten zur Medikation strukturiert erhoben und digitalisiert. Damit ermöglichte das Medikationsmanagement eine systematische Auswertung der Pharmakotherapie bei der ALS.

Wissenschaftliche Analyse der Pharmakotherapie bei der ALS

Mit der wissenschaftlichen Untersuchung und Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift sollten drei wesentliche Ziele erreicht werden:

1.) Den Bedarf einer spezialisierten Versorgung in ALS-Ambulanzen ins Bewußtsein bringen.
2.) Die Notwendigkeit eines spezialisierten Medikamentenmanagements für die ALS aufzeigen.
3.) Die Generierung einer Datengrundlage zur Weiterentwicklung nationaler und europäischer Leitlinien der symptomatischen Therapie.

Für die Studie wurden folgende demographische und klinische Merkmale von 2.342 Patienten ausgewertet: Geschlecht, Alter bei Krankheitsbeginn, Dauer der Erkrankung und ALS-Funktionsskala (ALS-FRSr). Ein Überblick über die erhobenen demographischen und klinischen Details ist in der folgenden Tabelle enthalten.



Riluzol ist häufigste Therapie

Das Basismedikament Riluzol erhielten 93% der PatientInnen. Riluzol, das den Krankheitsverlauf moderat verlangsamen kann, ist damit der Standard in der Behandlung der ALS in Deutschland. Neben Riluzol kamen über 100 unterschiedliche symptomatische Medikamente zum Einsatz. Die Definition „symptomatische Medizin“ wurde einem Medikament zugeordnet, wenn es zur Kontrolle (mindestens) eines der folgenden ALS-bezogenen Symptome verschrieben wurde: Sialorrhoe, Spastizität, Depression, emotionale Labilität, Schmerzen, Dyspnoe, Schlaflosigkeit, Angst, Unruhe, Muskelkrämpfe, Faszikulationen oder Verstopfung.

An zweiter Stelle nach Riluzol in der Häufigkeitsverteilung wurden anticholinerge Medikamente (53 % der PatientInnen) zur Behandlung des überschüssigen Speichelflusses (Sialorrhoe) verschrieben. An dritter Stelle standen Antidepressiva (52 %) zur Therapie von Herabgestimmtheit, Ängsten, Unruhe oder unkontrolliertem Lachen oder Weinen (motorische Disinhibition). Nach den Antidepressiva zählten Medikamente zur Behandlung der Spastik (einschließlich cannabinoid-haltiger Medikamente, und Botulinumtoxinen; 29 %) zu den häufigsten symptomatische Medikationen.



Abbildung: Symptomatische Medikamente wurden nach ihrer Verschreibungshäufigkeit, d. h. nach der Anzahl der Patienten, die das jeweilige Medikament erhielten, sortiert.

Anzahl der symptomatischen Medikamente pro Patient

ALS-Patienten erhielten im Mittel 4 symptomatische Medikamente. Die Anzahl der Medikamente pro Patient variierte stark: 1 Medikament pro Patient: 27% (n=630); 2 bis 4 Medikamente: 40% (n=948); 5 bis 10 Medikamente: 25% (n=580); >10 Medikamente: 8% (n=184).



Spezialisierte Behandlung der ALS in Netzwerken

Unsere Studie zeigt, dass bei der ALS die symptomatische Pharmakotherapie häufig und stark individualisiert ist. Die Kombination, die Vielfalt der Wirkungsweisen der Arzneimittel und die beträchtliche Anzahl der pro Patient verwendeten Medikamente unterstreichen die Notwendigkeit einer spezialisierten Behandlung in ALS-Zentren und in Netzwerken.

Mit unserem Medikationsmanagement konnten wir Patienten darin unterstützen, eine auf komplexe neurologische Erkrankungen spezialisierte Apotheke zu finden und zu kontaktieren. Unsere Studie zeigt, dass bei komplexen und seltenen Erkrankungen die fachliche Spezialisierung von Apotheken ein Vorteil ist. Die Spezialisierung führte zu einer besonderen Expertise in der Versorgung und Beratung zu Medikamenten der symptomatischen Behandlung der ALS. Wir denken, dass diese Studie dazu beiträgt, dass die Versorgung in spezialisierten Netzwerken zum neuen Standard wird.

Dank für Datenspende

Wir möchten uns bei allen Patienten bedanken, die an unserem Medikamentenmanagement teilgenommen und Ihre Daten für die Forschung zur Verfügung gestellt haben. Das Forschungsprojekt konnte nur durch ihre langjährige Unterstützung und Datenspende gelingen.

Ihre Ansprechpartnerin für wissenschaftliche Fragen zur Studie

Susanne Spittel
Projektleiterin Versorgungsforschung
Mail: susanne.spittel@ambulanzpartner.de
Fon: 030 81031410








Wenn Sie am Medikamentenmanagement teilnehmen möchten, sprechen Sie Ihren behandelnden Arzt in einer der teilnehmenden ALS-Ambulanzen an. Selbstverständlich können Sie uns auch telefonisch oder per Email kontaktieren. Die Teilnahme ist für Patienten kostenlos.